Lichtspiele

21. Dezember 2004

(Nachtrag und Erweiterung zum 19./20.12.)

Trotzdem habe ich das Stadttheater (wie gesagt, ein Name, der mir aus den dargelegten Gründen nur schwer über die Lippen kommt) dann intensiv von Innen zu erleben bekommen, wie ich überhaupt immer, wenn mich was fasziniert hat, versucht habe, das jeweilige System backstage zu erkunden: Als Pfarrhofgeist, Blasmusiker und – Filmvorführersohn.
Papa hatte in den späten Fünfzigerjahren schon Filme vorgeführt, erfuhr ich damals (es muss etwa 1980 gewesen sein). Und jetzt hatte er gehört, dass sie im Volkskino jemanden suchen. Er musste nur wieder neu angelernt werden, die Nachschulung für seinen neuen Nebenjob konnte er problemlos im Biograph absolvieren. Weil er ein Familienmensch war, nahm er in kauf, samstags nach dem Hauptabendfernsehprogramm noch außer Haus zu gehen, um dort bei der geheimnisvollen Nachtvorstellung (NV) ab 22.30 das fachmännische Hantieren mit dem Filmmaterial eingehend zu studieren. Die NV wurde im Schaukasten bei der Autobushaltestelle ohne die anregenden Bilder beworben, wie es sie sonst bei Filmen wie Herbie – ein Käfer auf Extratour und sogar Bilitis gab; ja, selbst bei Schulmädchenreport 1 (1970) bis 13 (1980) wurde der interessierte Cineast mit aufschlussreichem Vorinformationsmaterial versorgt, mit kunstvoll überklebten Nippeln und Schamhaardreiecksbuschen, recht phantasieanregend auf jeden Fall. Für die NV musste man sich mit dem adjektivisch ausgeschmückten Titel (blutjung, feucht, heiß,…) begnügen, darunter stand nur noch der Text Jugendverbot. Mit Rücksicht auf den freizügig gestalteten Inhalt können keine Bilder gezeigt werden.
Natürlich interessierte sich Papa nur für die Kinovorführtechnik, und von den Filmen, selbst wenn man sie anschauen hätte wollen, konnte man pro Akt (20 Minuten) nur etwa die Hälfte sehen, in der Zwischenzeit musste der nächste Akt vorbereitet und der abgespielte zurückgespult und in der Schachtel versorgt werden, viel Arbeit auf jeden Fall. Und hören konnte man bei dem Lärmpegel im Vorführerkammerl nicht wirklich viel.
Selbst später, als Papa dann im renovierten Stadttheater spielte, konnte er mir von vielen Filmen nicht sagen, wie sie ausgegangen sind. Aber ich durfte alle sehen, es gab dort nämlich keine NV, es ist ein seriöses und familienfreundliches Kino, bis heute.
Das Biograph gibt es schon lange nicht mehr. In der Nähe gibt es aber einige Videotheken.

Wir haben ihn erreicht, den 21. Dezember. Die Winterreise ist zu Ende. Das Licht nimmt wieder zu. Ab morgen.