Schule des Staunens 17.2

12. Juni 2016

Eine ausgewogene Zufriedenheit (nicht zu verwechseln mit Friedhofsruhe, wo jede Individualität zurechtgeschoren wird) schien als Wolke im Saal zu stehen und verblieb, lange noch. Die Kombination Ligeti – Purcell, in wohltuend applausloser Abfolge dargebracht, erwies sich als kunstvoll austarierte Einheit. Die (gewissermaßen) totalen (nicht: totalitären!) Klänge Ligetis wurden durch die stille Innigkeit Purcells gefasst, ermöglichten zwischendurch ein Zurechtrücken der Organe, Magnetisierung, bevor es wieder (man verzeihe das abgegriffene Bild) hinausging ins All. Wobei »San Francisco Polyphony« (1973/74) mir fast wie eine imaginäre 37. Symphonie Mahlers erscheinen musste bzw. durfte.

Nach meinem Zwischenspiel sprach mich eine von einem Herrn begleitete Dame mit einem Akzent, der mir ungarisch vorkommen musste, an. Ob das ich sei, der den Text in der Ankündigung verfasst habe, diese Worte über Ligetis Grab am Wiener Zentralfriedhof? – Ja, der sei von mir. – »Ich danke Ihnen vielmals, das hat noch keiner in aller Kürze so zutreffend gesagt. Es trifft genau unsere Absichten: Wir sind nämlich die Architekten1

Was jedoch die bestürzend rückstandslose Kraftmeierei von »Ein Heldenleben« mit der innigen Intensität zuvor zu schaffen haben könnte, hat sich leider nicht erschlossen: Es bleibt einem nach dieser aufwendigen (und höchstvergeblichen) Demonstration vorgeblicher Stärke eine Art verkaterter Nachgeschmack in den Ohren. Natürlich, ein tourendes Orchester (eines vom Rang der Bamberger gar) möchte seine Brillianz vorführen, und was hat man auch dagegen aufzubringen, wenn es der Chefdirigent im vorletzten Konzert seiner Amtszeit noch einmal so richtig krachen lassen will. Ob das aber nicht auch mit feinstofflicheren Klängen möglich wäre (sagen wir Bartóks – oder Lutosławskis – »Konzert für Orchester«, oder etwa Janáček, Martinů, Hartmann,…), muss als ratlos gestellte Frage im Raum stehen bleiben. Die keinesfalls konfliktfreie und doch seltsam wohlige Wolke im ersten Teil war da von ganz anderer, kathartischer Qualität. Aber vielleicht muss es so sein: Vergegenwärtigen wir uns die Situation am Zentralfriedhof, wo in unmittelbarer Nachbarschaft zu Ligetis Grab protzig-dominant ein theatralisch verdeckter Stutzflügel aus fettem Marmor (samt Blechrose) an Udo Jürgens erinnern soll, Nummer 1A, was sonst. Der schlichte Glasmonolith für Ligeti spricht da eine ganz andere Sprache, eine die sich mitteilt, dialogisch: Es gilt weiter zu hören.

Mit den Menschen, die zu meinem Nachspiel gefunden haben, durfte ich die gemeinsame Imagination allergrößter Musik erleben.

Danke allen Ermöglichern.
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NB: Meine Manuskripte zur Schule des Staunens (.pdf) gibt’s gern auf Nachfrage.

  1. Aneta Bulant-Kamenova & Klaus Wailzer; und, ja, bulgarisch (oder zumindest mit slawischem Einschlag) hätte es mir getönt, wären meine Ohren nicht vom Thema geblendet gewesen: man nimmt halt immer das wahr, was man zu wissen meint. Indes, die Welt ist weit weiter.