Schule des Staunens 15.2

7. März 2016

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DieÄhnlichkeit der Traurigen Weise mit dem Bratschenmelos des Mahlerschen Adagio wurde natürlich sogleich bemerkt. Manche sehen auch Bruckners Neunte als Paten über dem Werk. Das mag auch seine Berechtigung haben. Allerdings dem Lieben Gott hätte Mahler diese Symphonie nicht widmen können und wohl auch nicht wollen; dafür gibt es ja den letzten Satz der Dritten, „Was mir die Liebe erzählt“ (auch ein Adagio, sein längstes) oder das „veni creator spiritus“ der auftrumpfenden Achten (die ihrerseits, so könnte man spitzfindig behaupten, unmittelbar beim C-Dur-Finale der Siebten anschließt; für das man ihn, seinereseits, der Lächerlichmachung des Meistersinger-Vorspiels zeihte). Nein, zum Demliebengottwidmen wäre die Zehnte allzu karg-abgründig – und gar so „objektiv“, wie es gerne heißt, kommt sie auch nicht daher.

Bevor sich in den Meistersingern von Nürnberg alles zum glücklichen Ende hin entwickeln kann, verzichtet Hans Sachs darauf, sich im Wettgesang um die allzujunge Eva zu bewerben. Dabei zitiert Wagner sich selbst mit dem zentralen Tristan-Motiv, das er dann zu einer fröhlichen Wendung hin auflöst:

Mein Kind, von Tristan und Isolde kenn ich ein traurig Stück:
Hans Sachs war klug und wollte nichts von Herrn Markes Glück.

Ausschließlich deshalb erst kann das wie kaum ein Musikstück die Zeit anhaltende Quintett zur Taufe der Seligen Morgentraum-Deutweise und damit die inoffizielle Zusammenführung des Liebespaares Eva-Walther folgen, bevor es auf die johannestägliche undalso frühsommerliche Festwiese hinausgeht. Bezeichnend, dass der Wagner-Verehrer Mahler mit den Meistersingern am wenigsten anfangen konnte und sich demgemäß auch nicht an die altersweise Verzichtmaxime Sachsens halten hat können. Jens Malte Fischer formuliert es so: „Auf der Verkettung des Frühlings mit dem Herbst, der Unreifen mit dem Überreifen ruhte kein Segen.“

Und so geschieht es auch: Mitten ins Komponieren platzt die Katastrophe, der drängende Liebesbrief des jungen, noch unberühmten Walter Gropius an Alma, adressiert „An Herrn Director Mahler“. Hat sich Gropius (absichtlich?) verschrieben, hat ihn Alma (absichtlich?) aufs Klavier gelegt, um klare Verhältnisse zu schaffen? Beide können sich das, so, wie wir das von diversen heutigen Untersuchungsausschüssen oder dergleichen kennen, beim besten Willen nicht erklären bzw. zeitlebens nicht erinnern, wie das war (und ob überhaupt). Sigmund Freud, den Mahler in Leiden (sic!) aufsucht, erinnert es so:

wie wenn man einen einzigen tiefen Schacht durch ein rätselhaftes Bergwerk graben würde.

Einmal vertut er sich dabei chronologisch, setzt das Treffen 1913 an. Dabei hat er bereits im Mai 1911 sein Honorar erhalten.

Nun denn, für Alle gilt die Unschuldsvermutung.

(Aus meinem Manuskript zur Schule des Staunens vom 3.3.2016. Wird auf Nachfrage gern als .pdf zugesandt.)