Schule des Staunens 4.2

22. Dezember 2014

(Zum Wandern und zur entsprechenden Fantasie Schuberts, D 760)

Musik:  „mümü.01.wandern“

Zum Einlass (m)eine Verschneidung der beiden bekannten Vertonungen auf Wilhelm Müllers Text „Das Wandern ist des Müllers Lust“: Jene von Carl Friedrich Zöllner (1844), die immer noch viele für ein Volkslied halten (wollen) und die in aller Regel erst danach zum ersten Mal gehörte von Franz Schubert (1823) – ein Vexierspiel, verwirrend, auch für mich beim Spielen, und das ist gut so.
Neben den Toten vom Tage (Kaspar Hauser, 1833; Kim Jong-Il, 2011) ein kurzer Seitenblick auf Beethovens Geburtstag (alles Gute zum 244sten!), weiter zu Büchners Lenz: Da er „den 20. durch’s Gebirg“ ging, musste er letztlich, dem Wanderer des Flachländers Schmid von Lübeck ähnlich, einer, der von sich mit Recht sagen kann, ja muss: „Ich komme vom Gebirge her –“.

Musik: „Ein anderer Wanderer“

Das war meine allererste Bearbeitung eines Schubertlieds, ich habe sie am 25.8.1993 erstmals in Graz gespielt. Heute erklingt ein Abriss daraus, Unterbrechungen und Hinweise auf unterlegte Textstellen, auch ein Vergleich zwischen dem Text in seiner Originalgestalt und wie ihn sich Schubert für seine Zwecke eingerichtet hat: Was für eine Zurechtspitzung ins Düstere (eigentlich, gäbe es das Wort – jetzt existiert es! – eine Zurechtstumpfung)!


Des Fremdlings Abendlied/Der Wanderer – D 493
Georg Philipp Schmitt von Lübeck/Textadaption: Franz Schubert

Ich komme vom Gebirge her
Die Dämm‘rung liegt auf Wald und Meer;/Es dampft das Tal, es braust das Meer.
Ich schaue nach dem Abendstern
Die Heimath ist so fern, so fern.

Es spannt die Nacht ihr blaues Zelt
Hoch über Gottes weite Welt,
Die Welt so voll und ich allein,
Die Welt so groß und ich so klein.

Sie wohnen unten Haus bei Haus,
Und gehen friedlich ein und aus;
Doch ach, des Fremdlings Wanderstab
Geht landhinauf und landhinab.

Es scheint in manches liebe Thal
Der Morgen- und der Abend-Strahl,
ich wandle still und wenig froh/bin wenig froh,
und immer fragt der Seufzer: wo?

Die Sonne dünkt mich matt und kalt,/hier so kalt,
Die Blüthe welk, das Leben alt,
Und was sie reden, tauber Schall,/leerer Schall
Ich bin ein Fremdling überall.

Wo bist du, mein gelobtes Land,/geliebtes Land?
Gesucht, geahnt und nie gekannt?
Das Land, das Land so hoffnunggrün,
Das Land, wo meine Rosen blüh’n?

Wo meine Träume wandeln geh’n,/Freunde wandelnd gehn,
Wo meine Todten aufersteh’n,
Das Land, das meine Sprache spricht,
Und alles hat, was mir gebricht?/O Land, wo bist du?

Ich übersinne Zeit und Raum,/Ich wandle still, bin wenig froh,
Ich frage leise Blum‘ und Baum;/Und immer fragt der Seufzer, wo?
Es bringt die Luft den Hauch zurück:/Im Geisterhauch tönt’s mir zurück:
„Da, wo du nicht bist, ist das Glück!“/„Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.“


Beim kulturgeschichtlich als bedeutsam einzustufenden Steyrer Kripperl gibt es übrigens auch eine Szene, bei der (wenn ich mich recht erinnere) ein Bergknappe die Zeilen „Ich komme vom Gebirge her, (Echo:) Gebirge her – es dampft das Tal, es braust das Meer, (Echo:) es braust das Meer.“ intoniert. Als Kind ist mir das immer merkwürdig vorgekommen, war doch das Gebirge jenes vom (steirischen) Erzberg, und der Ort des Hinkommens des dahergekommenen Knappen das Krippentheater mit der Kulisse meiner Heimatstadt Steyr, und dazwischen konnte beim besten Willen kein brausendes Meer gelegen sein. Es liegt wohl daran, dass mir diese Zeile auch heute noch jedesmal surrealistisch, wenn nicht dadaistisch vorkommen muss.

Jetzt: Das Wandern. „Oft schwankt der romantische Wanderer in darstellender Kunst und Roman zwischen Fern- und Heimweh, und oft wird der Wanderer auf verschiedenste Weise mit dem christlichen Mittelalter konfrontiert und die von der Zivilisation unberührte Natur wird zur Märchenwelt. Auch wird das Wandern mit einer kritischen Haltung zur gesellschaftlichen Konvention begründet.“ [wikipedia]

Ein sehr spezieller Wanderer ist der Pilger. Verweis auf Tannhäuser, der Anfang des zweiten Pilgerchors aus Wagners Oper, wenn man so will das Logo des Dramas, erklingt ab dem vierten Ton gemeinsam mit der leicht verstimmt dazu verlaufenden Pausenende-Signation des Konzerthauses, befreites Gelächter. Und anstatt dass ich jetzt eine Variation auf die auch im anschließenden zweiten Konzertteil Bertrand Chamayous auf dem Programm stehende Version Liszts über „Der Müller und der Bach“ spiele, kündige ich das zwanzigste Lied der „Schönen Müllerin“ an, „Des Baches Wiegenlied“ (bei mir: „mümü.20.bachwiegenlied“), verbunden mit dem Hinweis, dass ich alle fünf Strophen spielen werde, wobei ich dem p.t. publico versichere, dass es keine Beleidigung darstelle, wenn man sich während meines Spiels in Richtung Mozartsaal zurück begebe. So geschah es, und ich brauchte dann tatsächlich nur eine Strophe fertig zu spielen, auch die nicht annähernd so perfekt und fehlerfrei, wie das gesamte Konzert Chamayous, eines phänomenalen jungen Pianisten ablief, dieses allzu fhelerfrei, möglicherweise.

Da konnte man wieder einmal erleben, wie schwer es ist Schubert zu spielen. Für manche besser unspielbar.