Schule des Staunens 3.2

21. November 2014

(Ein stream of consciousness zu Schuberts Oktett F-Dur, D 803)

Achten Sie auf die Stillstände … Schubert ist ein großer Meister (ein Großmeister) des … Innehaltens … Wobei … Kann einer Meister in einer Sache oder Fertigkeit sein, wenn die Meisterschaft im jetzt/so Nicht-mehr-weiter-Können besteht? In Lars Gustafssons „Der Tod eines Bienenzüchters“ gibt es ein eindrückliches „Verzeichnis der Kunstarten nach ihrem Schwierigkeitsgrad“. Die Musik ist am zweitschwierigsten, die schwierigste Kunst ist die Erotik. Am Ende der LIste heißt es: „Eine kann ich nicht einordnen: die Kunst, Schmerzen zu ertragen. Das hängt damit zusammen, daß bisher niemand eine Kunst daraus machen konnte. Wir haben es also mit dem einzigartigen Fall einer Kunstart zu tun, deren Schwierigkeitsgrad so hoch ist, daß es niemanden gibt, der sie ausübt.“

Wieder ist es – als heute, hundertneunzigeinhalb Jahre nach der Werkenstehung Hörende reisen wir vorwärts/rückwärts in der Zeit, ganz wie es uns beliebt – eine Vorauserinnerung. Nahm sich Michelangelo in der Sixtina Sà¡ndor Và©gh zum Vorbild, wie er die Musik den Bratschen (die eigentlich die zweiten Violinen waren) im Adagio von Bartà³ks Divertimento eingab, so sind es hier Bruckners Große Pausen … Abgründe tun sich auf, für die es keine Namen gibt. Schubert kommt noch ohne Fermate aus, er füllt einfach zwei ganze Takte mit Pausen, sodass durchgezählt werden kann oder muss: Sicherlich Streitpotential für die Probe, welches kreativ zu nutzen ist: mit oder ohne ritardando, vorher bei den Vierteln oder beim Einsatz der aufs Neue das Tempo gebenden Bratsche … Abgründe … Wir können es nie wissen, ob es nach so einer Pause weitergeht, und ich warte/hoffe, dass das einmal bei einem Konzert geschehe … Ob es weitergeht? … Am 31. März 1824, ein Monat nach der Vollendung des Oktetts, schreibt Schubert an seinen Freund Kupelwieser zutiefst erschütternde Worte: „Jede Nacht, wenn ich schlafen geh‘, hoffe ich, nicht mehr zu erwachen.“ Wie sehr unterscheidet sich doch diese Formulierung von so ähnlich klingenden Mozarts, der aus dem Gedanken, dass er, so jung an Jahren er sei, vielleicht am nächsten Tag nicht mehr sei, eine fröhliche Seelenruhe abzuleiten vermochte. Bei Schubert ist es die schwindende Gesundheit, das Bewusstsein, dass nichts besser werden wird, nie mehr. (Ende 1822 hatte er sich mit der Syphilis angesteckt, dürfen wir heute sagen.) Die nächste Werke dieser Zeit waren u.a. das Streichquartett d-moll („Der Tod und das Mädchen“) und „Die schöne Müllerin“.

Es geht nicht mehr weiter. Nicht mehr weit.

„Die Biene spricht sich durch Summen Mut zu.“ (Harald Gsaller)

Jetzt aber: Vorbereitung, Vorbereitung auf die Große Symphonie, und leider darf das Thema am Anfang nicht die Posaune spielen, es sind die Hörner … Was heißt vorbereiten, worauf? Auf den Ernst des Lebens, wann fängt der an (bei mir hat er bis heute nicht begonnen, so viele Stufen ich zu überwinden hatte: Kindergarten (die Kleinen) – Kindergarten (die Großen) – die Erste Klasse Volksschule – die 2. Klasse, wo man den Direktor als Lehrer hatte und den Pfarrer in Religion – die Erstkommunion – die Vierte, schaun wir, obs fürs Gymnasium reicht – das Gym – die 3. Klasse Gymnasium (Latein!) – die Oberstufe, da werden ganz andere Saiten aufgezogen – die Sechste, Siebte, Achte – die Matura – Studienbeginn – das Militär (Militär-Musikk!) – das Musikstudium – der zweite Studienabschnitt – das Diplom – Freier Künstler (…) (…) (…) demnächst bin ich fünfzig, und habe den Ernst des Lebens nur in Personen kennengelernt, die diesen Namen tragen (was allerdings durchaus als erfreulich bezeichnet werden kann, war doch auch Ernst Jandl darunter) … Besteht nicht der Ernst des Lebens darin, den Augenblick als gültig anzunehmen … so gesehen steht jedes Werk auch und zuallererst für sich selbst und nicht als vorläufige, halb gültige Zwischenstufe … Anders: Diesen Sommer haben wir (leider nur) drei Wanderungen gemacht, in aufbauender Reihenfolge: Anlaufalm – Ebenforstalm – Bosruck (alles im weiteren Umkreis, in der Marlen Haushofers Wand angesiedelt ist); es ging darum, sich Mut zu machen für die jeweils größere Aufgabe. Aber letztlich war jede Tour eine für sich und als solche perfekt.

Die Hummel hat kein Sich-Mut-Zusummen nötig, es ist ihr sogar egal, dass sie eigentlich gar nicht fliegen können dürfte.

Achten Sie auf die Gleichzeitigkeit (also nicht: Abfolge) von ernst und heiter. Schuberts Musik im Oktett ist ernst und zugleich heiter.

Und dann, die Melodie! Das Melodische an sich! (Es überwiegt bei weitem dem Kontrapunkt.) Überhaupt, die Melodie! Schuberts Melodien erwachsen aus sich selbst heraus, wie (und ganz anders wie) die Kohlensäureblasen im Bier.

Ich sage hier nichts von der Ewigen Melodie, die kommt ein andermal. Aber wo sie anfängt, das weiß ich gewiss.