Schule des Staunens 16.3

23. Mai 2016

Wir befinden uns inmitten einer Konzertreihe, die sich der zyklischen Aufführung einer Werkgruppe widmet. Ob es bei großen Kunstwerken so sein kann wie bei den in der Populärwissenschaft so beliebten Stammzellen? Dass eine einzelne Zelle über die Information(en) des gesamten Organismus verfügt, sodass sich daraus sogar alles rekonstruieren lässt? – Aber wir können doch immer nur das eben erklingende Musikstück hören. Wie setzt sich das nun in uns zu einem Großen Ganzen zusammen? (Hier: Schubertharz.)

Jetzt. Was wäre sowas? Wie kann man die Schubert-Empfindung – und das ist eine sehr spezielle Empfindung – dingfest machen, ohne sie ihres Zaubers zu berauben oder gar sie zu zerstören? Wie machen das Meeresbiologen, wenn sie so eine fragile Qualle herausnehmen? Als Kinder sind wir gescheitert, im Sand von Cà orle waren sie nur noch eine glibbrige Masse, eklig, und keinesfalls die Essenz, das Quallenhafte der Qualle (würde Heidegger sagen). Antonius von Padua, dem wortgewandten (vermutlich hat er bei seiner völlig unnötigen Fischpredigt auch den Quallen von den Freuden des Himmels erzählt), diesem Wortgewandten, soll seinerzeit Franziskus persönlich gestattet haben, den Brüdern theologische Vorlesungen zu halten, „wenn du nur nicht durch dieses Studium den Geist des Gebetes und der Hingabe auslöschest“. Was, nebenbei, der Nutzen einer Vogelpredigt, wie sie Franziskus gehalten hat, sein soll, erschließt sich mir genausowenig wie die fischige Variante. Unwillkürlich fällt mir dazu E. M. Ciorans Exercise nà©gatif „Unbrauchbarer sein als ein Heiliger“ ein. … Natürlich benötigen wir das Unbrauchbare, sonst würden wir uns ja nicht hier im Wiener Konzerthaus versammeln: Es ist noch mit keiner Musik irgendwo ein Nagel eingeschlagen worden. Zu Musik, das ja, wir haben es schon im Kindergarten gelernt: „Wer will fleißige Handwerker seh’n“ (…), das Urbild des Workin‘ Songs gewissermaßen…

Ich schließe jetzt den hier aufgerissenen Bogen nicht zu einem Kreis, lasse ihn Fragment bleiben – und verwende die Gelegenheit gleich zu einem Plädoyer fürs bedingungslose Fragment, dafür, dass wir, bedingungslos, fragmentarisch bleiben dürfen: Jeder Kreis wird in dem Moment uninteressant, da er sich schließt, ist ähnlich sinnentleert wie ein gelöstes Kreuzworträtsel (in dem die Fragen und also die lösungsbegabte Genialität ihrer Entschlüssler nicht aufscheinen) oder ein neunmalneunmalkluges Zahlenraster vulgo Sudoku: nichts als sinnentleerte Ziffern, mit null Fehlern noch dazu, zum Gähnen!

(Aus meinem Manuskript zur Schule des Staunens vom 19.5.2016. Wird auf Nachfrage gern als .pdf zugesandt.)