Schule des Staunens 16.2

20. Mai 2016

Am Abend ist fast immer Vorstellung, und ich habe wohl kaum mehr zu steigernde Erfolge. Komme ich spät nachts von Banketten, aus wissenschaftlichen Gesellschaften, aus gemütlichem Beisammensein nach Hause, erwartet mich eine kleine halbdressierte Schimpansin, und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlgehen. Bei Tag will ich sie nicht sehen; sie hat nämlich den Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick; das erkenne nur ich, und ich kann es nicht ertragen.
(Franz Kafka: Ein Bericht für eine Akademie)

Stellen Sie sich vor, Rudolf Buchbinder kommt zum letzten Schlussapplaus heraus, aber statt dass er sich noch einmal nonchalant verbeugt, begrüßt er den Konzertmeister, sie setzten sich nieder, und dann fängt er doch tatsächlich wieder mit dem 1. Beethoven-Klavierkonzert an. Und niemand kratzt es, COMPLETE RESET. (Wobei, ihm könnte man das irgendwie ja zutrauen.) Wie auch immer, lassen Sie uns heute im Kreis gehen. Diese Woche läuft im Radiokolleg auf Ö1 die Serie »Leben im Loop. Die Kraft der Wiederholung.«, gestaltet, von – nomen est omen – Thomas Mießgang. Hier (hic et nunc) befinden wir uns inmitten einer Konzertreihe, die sich der zyklischen Aufführung einer Werkgruppe widmet, dieser Kreis is about to close, … warte nur, balde. Im verdienstvoll gestalteten und kundig ausformulierten Programmheft – die meisten von Ihnen besitzten es wohl bereits seit dem ersten Konzert des Zyklus, zehn Tage und 187 Jahre nach Schuberts Tod,

Geht es Ihnen eigentlich auch so wie mir, dass Sie an jedem 19. November unwillkürlich Schuberts gedenken, am 31. Jänner (seinem Geburtstag) aber eher nicht? Merkwürdig. Woran das wohl liegen mag? (Ich werde später eine mögliche Antwort einflechten, ohne dann jedoch direkt darauf zu verweisen.) Vielleicht sollte man, analog zur Salzburger Institution der Mozartwoche um Mozarts Geburtstag 4 Tage zuvor, auch so etwas ähnliches einrichten, was weiß ich, eine im Sinn der Unsinnsgesellschaft abzuhaltende Rodelpartie* (oder, je nach den meteorologischen Gebenheiten, Draisinenfahrt) am Himmelpfortgrund? … Der 19., der muss für Schubertianer – Schubertianer, das gefällt mir Wagner-bedingt nicht so sehr, aber wie sagt man … Schubertiner? … Schubertisten? Oder Schubertler? … Jawohl, Schubertler, das gefällt mir … nun denn – der 19. also muss für Schubertler wohl das sein, was für passionierte Marienverehrer (hier verzichte ich auf eine Schubert-analoge Erörterung des Begriffs) der 13. eines jeden Monats ist. Es ist also ein koinzidentes, sinnfälliges Glück, dass wir diese Schule des Staunens an einem 19. begehen, dem 19. Mai: Heute in einem halben Jahr versammeln wir uns dann gedanklich in der Kettenbrückengasse bei Schuberts Sterbehaus.

(Aus meinem Manuskript zur Schule des Staunens vom 19.5.2016. Wird auf Nachfrage gern als .pdf zugesandt.)

______________________________
*In H.C. Artmanns wos an weana olas en s gmiad ged: (1959) wird neben »a schas med quastln« (…) »a söbstbinda zun aufhenkn« (…) und »en mozat sei notnschdenda« auch »a rodlbadii met dode« genannt.